100 Jahre Ruth Geede

Die älteste Kolumnistin der Welt – mehr als eine schöne Festplatte

Ruth Geede und Eva Prott-Klebe.

Ruth Geede (links) und Eva Prott-Klebe. Foto: Marina Friedt

„Klebe-Mädchen“ begrüßte die Hundertjährige freudig vom oberen Treppenabsatz. Gemeinsam mit unserer ehemaligen Geschäftsführerin Eva Prott-Klebe (90), die aus ihrer Zeit von 1957 bis 1986 noch viele Namen und Details zur DJV-Geschichte erinnert, besuche ich Ruth Geede, die älteste Kolumnistin der Welt, wenige Tage nach ihrem 100. Geburtstag erneut, um in Ruhe aus ihrem Leben zu erfahren. Die beiden Damen kennen sich noch aus Zeiten, als die beiden als Fräuleins galten – lange selbständig, heirateten beide spät.

Open-House zum 100. in Niendorf

Ruth Geede mit ihrer Torte zum 100. Geburtstag. Foto: privat

Ruth Geede mit ihrer Torte zum 100. Geburtstag. Foto: privat

Gerade kann sie nicht mehr gehen. Aber sonst ist die alte Dame mit dem klassisch schönen Gesicht und dem geradlinigen Mittelscheitel im schwarzen Haar voll da. Geradlinig durch die Mitte mit einem unverwüstlichen Humor und der geistigen Frische einer lebenserfahrenen Frau versehen, das zeichnet sie aus. Ihren hundertesten Geburtstag feierte sie am 13. Februar mit Unterstützung ihrer Familie bei einem „Open Haus“. Freunde, Kollegen, Bekannte und Nachbarn gaben sich im Drei-Generationen-Haus in Niendorf die Türklinke in die Hand, um der im Sessel empfangenden Dame in königsblauer Bluse und dazu passenden blauen Ohringen zu gratulieren – ein gästefreundliches Haus, so wie sie es jahrzehntelang mit ihrem Ehemann Guenter, einem Deutsch-Chilenen, der früh verstarb, gelebt hatte.

Der ostpreußischen Heimat verbunden

Ruth Geede in jungen Jahren.

Ruth Geede in jungen Jahren. Foto: privat

Die Arbeit, die sie leistet, hat sehr viel mit ihrer eigenen Herkunft zu tun: Ruth Geede wurde 1916 in Ostpreußen als fünftes Kind und Frühchen geboren. „Ach Jottche, ach Jottche, e Kopp wie e Saatkartoffelche“ rief ein Nenn-Onkel aus, als er das Kind sah – wer hätte damals gedacht, dass sie einmal hundert Jahre alt werden würde. Die Mutter wickelte sie in Öltücher und stillte sie drei Jahre, und Ruth entwickelte sich prächtig und erlebte eine wunderschöne Kindheit mit ihren Geschwistern. Nachdem sie mit 17 Jahren von der Königsberger Allgemeinen Zeitung drei Mark für ein Gedicht bekommen hatte, stand ihr Berufswunsch fest: Schriftstellerin wollte sie werden. Bald schrieb sie auch für Zeitschriften, Magazine und den Rundfunk. Der Deutsche Schriftstellerverband nahm sie auf und mit 19 schrieb sie ihr erstes Buch, mit 20 das nächste, und so ging es in einem fort. Die Nazis übernahmen das Ruder, Ruth Geede, Tochter eines Universitäts-Quästors, blieb bei ihrer geliebten Heimatkunde, außerdem machte sie viele Kindersendungen fürs Radio.

Berufswunsch: Schriftstellerin

Die junge Ruth Geede.

Die junge Ruth Geede. Foto: privat

Sie hatte sich zeitlebens als Schriftstellerin verstanden, aber nach dem Krieg volontierte sie aus der Not heraus 1948 bei der Lüneburger Landeszeitung – mangels Verkehrssystemen pendelte sie zwischen Lüneburg und Hamburg nicht selten mit einem Pferdefuhrwerk. 1950 übernahm sie die Hamburg-Redaktion des Niedersächsischen Zeitungsverlages. Seit sechs Jahrzehnten schreibt sie nun für das Ostpreußenblatt, das in die Preußische Allgemeine Wochenzeitung integriert ist, auf eine unaufgeregte, kenntnisreiche Art.

Nun ist die Preußische Allgemeine Zeitung ein konservatives, nationalbewusstes Blatt, das nicht selten Ängste und eine Stimmung schürt, die auf Abschottung zielt. Eva Herman schreibt alle Wochen für das Blatt. Danach gefragt geht Ruth Geede auf Distanz zur Redaktion, sie schreibt ihre Kolumne „Ostpreußische Familie“ für „Das Ostpreußenblatt“ und „da konnte ich immer frei über meine Arbeit verfügen.“ Ihr Anliegen ist es, die ostpreußische Mundart lebendig zu halten und jungen Wissenschaftlern weiter auf der Suche nach historischen Fakten oder letzten lebenden Zeitzeugen zu helfen. Mal besorgt sie ganz pragmatisch auch eine Stanze, mit der früher die Königsberger Hausfrauen Marzipan hergestellt haben, aber vor allem bringt sie Familien und alte Freunde zusammen, die durch den Zweiten Weltkrieg getrennt wurden. Dass ihre Leserinnen und Leser das schätzen, davon zeugt ein ganzer Korb voller Leserbriefe zu ihrem Geburtstag.

Kolumne mit Herz

Bis heute, schätzt sie, hat sie hundert Menschen wieder vereint. 1985 übereichte ihr der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker für ihr Engagement das Bundesverdienstkreuz. Dieser Job, der sich nicht mit Gold aufwiegen lässt, ist für Ruth Geede, die nie Sport getrieben hat, „mein Jungbrunnen. Weil ich etwas bewirken kann. Das fasziniert mich. Dadurch bleibe ich lebendig und in der Gegenwart.“

“Eine schöne Festplatte eingebaut”

Weitere Rezepte, wie sie es geschafft hat, relativ gesund 100 Jahre alt zu werden, fallen ihr nicht ein, „der liebe Gott hat mir eben eine ganz schöne Festplatte eingebaut!“ Außerdem liebt sie ihre Arbeit, sie steht um halb neun auf, arbeitet täglich – inzwischen hat sie 50 Bücher geschrieben, für Rundfunk und für die Tageszeitung (v.a. Lüneburger Landeszeitung) gearbeitet, außerdem Magazine, Märchen, Kochbücher, Reiseführer, plattdeutsche Stücke, Kindergeschichten – „ich bin glücklich in meinem Beruf!“

"Der Wiesenblumenstrauß" - eines der vielen Werke von Ruth Geede. Foto: privat

“Der Wiesenblumenstrauß” – eines der vielen Werke von Ruth Geede. Foto: privat

Mit Kennwort “Bernstein” zum Erich-Klabunde-Preis

Stolz erinnert sie uns auch daran, dass sie ein Kochbuch für Langnese geschrieben hat und in den 1960ern zusammen mit Werner Sillescu den Erich-Klabunde-Preis erhielt. Der Wettbewerb der Berufsvereinigung Hamburger Journalisten richtete sich damals nur an freischaffende Journalisten. Nachgeforscht ergibt sich, dass sie 1966 zusammen mit Werner Sillescu und Ingeborg Zaunitzer-Haase den 3. Preis in Höhe von 250 DM für ihren unter dem Kennwort „Bernstein – das ist mein Glücksstein” – eingereichten Text „Besuch aus der Zone“ vom damaligen Vorsitzenden Dr. Frankenfeld bei einem kleinen Empfang erhielt. Für ihr „LEGO-Buch der Technik“ erhielt sie in New York den 1. Preis im internationalen PR-Wettbewerb.

„Alle Kollegen fragten sich immer warum wir einen Mercedes fuhren, aber ohne die Jobs in der PR hätten wir nicht so gut gelebt“. Dass sie so alt werden würde, hätte niemand vermutet – am wenigsten sie selbst, weil der Anfang so schwer war: „Es gab nichts anderes, es war Krieg.“ Und so kam Ruth Geede zu Kräften, ungeahnten Kräften, wie sich bis heute zeigt. Nur die Knochen, die wollen nicht mehr so recht. Aber das ignoriert die energische Dame, die es schon immer verstand, sich durchzusetzen und „nie Probleme“ damit hatte, weil sie eine Frau war.

Das Oberlyzeum mit seinen altjüngferlichen Lehrerinnen ertrug sie, obwohl sie Zuhause viel spannender fand: interessante Bücher zu lesen und auf dem Grammophon ihrer Geschwister die neuesten Schallplatten zu hören. Schon als Schülerin schrieb sie Gedichte, dann Märchen für die Zeitung in Königsberg. Auch ihr erstes Märchen von den Glockengeisterchen wurde sogleich gedruckt, 40 Mark bekam sie dafür, „irrsinnig viel Geld! Am selben Tag hab’ ich mir eine Schreibmaschine gekauft.“ Später 1948 mit den 200 Mark aus der Währungsreform kaufte sie sich als erstes eine neue Schreibmaschine. Und mit einer Reiseschreibmaschine auf den Knien schrieb sie später als Korrespondentin für die Landeszeitung Lüneburg – meistens in der Bahn, denn sie hauste in „dunklen Löchern“, und ein Büro gab es nicht.

Krieg und Frieden

Mit Heiraten hatte sie zunächst nichts am Hut, sie genoss ihre berufliche Selbständigkeit. Im Krieg wurde sie irgendwann halbtags freigestellt, um die Feldbuchhandlung zu führen, die die Soldaten mit Büchern und Musik belieferte. Das Lied „Lilli Marleen“ war tatsächlich genauso beliebt, wie in Fassbinders danach benanntem Film, außerdem „wurden sehr viele Opernplatten gewünscht.“

Ab 1943 kriegsdienstverpflichtet. Im Januar 1945 kam die Anweisung, nach Westen zu fliehen und in Neubrandenburg wiederum die Feldbuchhandlung zu übernehmen. „Ich holte meine Nichte aus der Schule, und traf meine Mutter und meine Schwester, und wir flohen in einem LKW. Eine Autopanne rettete ihr auf der Flucht von Königsberg das Leben – eine Erfahrung, die sie öfter machte: Dass im ersten Moment unglückliche Umstände sich im nachhinein als Glück erwiesen.

Ruth Geede und Karl-Heinz Mose. Foto: privat

Ruth Geede und Karlheinz Mose. Foto: privat

Sie kamen nach vielen Irrungen und Wirrungen – wie es viele Flüchtlinge erleben, damals wie heute – nach Dahlenburg in der Südheide, wo sie Beeren und Pilze sammelten, Roggen und Kartoffeln auf den Äckern nachlasen, um nicht zu verhungern – „es ging uns besser als den Stadtmenschen“. Auch ihre Jugendliebe traf sie 1947 dort wieder. „Wir wollten heiraten. Nachmittags gingen wir zum Bürgermeister, um das Aufgebot zu bestellen. Der hatte aber schon geschlossen. Auf dem Rückweg kriegten wir uns so in die Wolle, dass mein Bubi abhaute. Wie das Schicksal so spielt…“ Ruth Geede grinst etwas schräg. Erst mit 38 Jahren fand sie ihre große Liebe, Guenter Vollmer-Rupprecht, ein Deutsch-Chilene, mit dem sie auch zusammen den „tutigen“ Frauendienst-(FD)-Pressedienst mit Verbraucherthemen „aufpeppte“ und später in Freie Dienste-Verlag umbenannte. Ihren ersten und einzigen Sohn brachte sie mit 41 Jahren zur Welt: „Ich war eine leidenschaftliche Mutter, aber ich hörte nicht auf zu arbeiten“, schmunzelt sie. Heute lebt sie mit der Familie von Roderich, der auch Journalist geworden ist, immer noch in dem inzwischen Drei-Generationen-Haus, dass sie mit ihrem Mann erbaute. Die tägliche Arbeit an ihren Kolumnen halten sie fit im Kopf, bei den Recherchen unterstützt ihre Schwiegertochter sie. Aber sie hat heute auch mehr Zeit für Muse, freut sich über die Ruhe und den Walnussbaum vor dem Fenster und vor allem über die Eichörnchen.

Freudig: Ruth Geede und Marina Friedt. Foto: Marcus Schmidt

Freudig: Ruth Geede und Marina Friedt. Foto: Marcus Schmidt

Neben ihren vielen Büchern und einer DVD „Aus dem Leben einer Ostpreußin“ drückt sie mir zum Abschluss auch ihr Hörbuch „Der Wiesenblumenstrauß – Ein bunter Strauß ostpreußischer Geschichten“ in die Hand. Ein Leben, ein Werk – nachhaltig beindruckend, nicht nur für Ostpreußen. Neben ihren Kolumnen hat sie noch ein Ziel: Ein Buch schreiben. Ihre Biografie mit dem Titel „Das Saatkartöffelchen“.

Marina Friedt / Karlheinz Mose

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