Annabel Trautwein

Wilhelmsburg Online

Annabel Trautwein, Wilhelmsburg Online

Seit wann ist Dein / Euer Stadtteilportal aktiv?
WilhelmsburgOnline.de ist am 20. März 2013 gestartet.

Wie benennt ihr Euer Produkt? Und warum? Was wollt ihr / du damit ausdrücken?
WilhelmsburgOnline.de ist eine lokale Internet-Zeitung für die Elbinsel. Wie jedes journalistische Medium sind wir den Standards verpflichtet, die für alle Profi-Journalisten gelten: Wir halten uns an Pressekodex und Presserecht und wir berichten unabhängig und überparteilich über die Themen, die für Wilhelmsburg wichtig und interessant sind. Dabei nutzen wir die Chancen, die das Internet uns bietet – multimediale Berichterstattung, Community Management über Social Media und Verlinkungen mit anderen Online-Medien sind erst der Anfang.

Welche persönlichen Voraussetzungen hast du mitgebracht und welche speziellen Vorbereitungen (Seminare, Kurse) hast Du / habt ihr vorab in Angriff genommen? Machst du / macht ihr alles selbst oder arbeitest Du / ihr mit Kolleginnen wie Grafikerinnen, IT-lern zusammen?
Als Chefredakteurin und Herausgeberin von WilhelmsburgOnline.de bringe ich inhaltliche wie handwerkliche Kompetenzen in das Medium ein. Ich bin ausgebildete Lokalredakteurin und habe den Beruf von der Pike auf gelernt – zuerst als Volontärin, dann als festangestellte Redakteurin mit Verantwortung für freie Mitarbeiter. Zudem habe ich Kultur- und Religionswissenschaft studiert und mich auf die Themen Islam und Migranten in Deutschland spezialisiert – dieses Wissen öffnet mir in einem multikulturellen Stadtteil wie Wilhelmsburg wichtige Türen. Dass ich selbst in Frankreich und Syrien als Ausländerin gelebt habe, schärft mein Gespür für die Lebenssituation von Einwanderern.

Bei der technischen Umsetzung von WilhelmsburgOnline.de helfen mir Freunde und engagierte Sympathisanten, die Funktionsweisen zu verstehen und selbstständig am Laufen zu halten. Zwei Freunde, beide professionelle Webdesigner, haben die Seite vor dem Launch programmiert und gestaltet. Ohne diese Unterstützung hätte WilhelmsburgOnline.de nicht starten können. Inzwischen habe ich gelernt, kleinere Programmierarbeiten eigenständig zu erledigen. Dieses Learning by Doing hat sich sehr bewährt. Im normalen Arbeitsalltag brauche ich keine externe Hilfe mehr.

Welche Finanzierungshilfen / Unterstützungen durch Stiftungen, Institutionen (DJV Kreativgesellschaft u.a. ?), Bank, in Form von Darlehen, Stipendien, Crowdfunding hast du bekommen?
WilhelmsburgOnline.de ist nicht als Geschäftsidee entstanden, sondern in erster Linie aus Lust am Schreiben und dem Interesse an Wilhelmsburg und seinen Leuten. Die Finanzierung der Zeitung stand bei ihrem Start noch gar nicht im Fokus. Als WilhelmsburgOnline.de jedoch schon nach wenigen Wochen stadtteilweit bekannt war und klar wurde, dass die Leser das Medium als ihre Lokalzeitung sehen, wurde die Arbeit für mich zum Vollzeit-Job. Da war jedoch der Zug für finanzielle Starthilfe für Projektideen schon abgefahren. Ideelle Unterstützung bekomme ich dennoch: beim Mentoring-Programm des DJV-Hamburg profitiere ich sehr vom Rat und von der Erfahrung meiner Mentorin, die mir vor allem in unternehmerischen Fragen zur Seite steht. Zudem erhalte ich Förderung von der Kreativgesellschaft Hamburg, an deren Coaching-Programm ich teilnehme.

Wie finanziert sich jetzt Dein / Euer Portal – kannst Du / könnt ihr davon leben / und auch Mitautorinnen bezahlen?
Erste und bislang einzige Einnahmequelle ist die Medienpartnerschaft mit Zeit Online. Das Geld reicht jedoch nicht, um davon leben oder gar Honorare zahlen zu können. Das soll sich ändern, sobald die ersten lokalen Werbeanzeigen auf WilhelmsburgOnline.de erscheinen. Das Konzept dazu steht, die letzten Vorbereitungen sind in Arbeit. Zudem soll ein Soli-Modell Leserinnen und Leser dazu anregen, unsere Arbeit mit Geld zu unterstützen.

Inwiefern unterscheidet sich Deine / eure Arbeit von der Lokalberichterstattung a la Abendblatt inhaltlich? Seid ihr näher dran an den Stadtteilthemen als die Regionalmedien? Nennt ein paar Beispiele.
Hamburg, die schönste Stadt der Welt – dieser Grundton des Jubels passt einfach nicht zur Alltagserfahrung der meisten Menschen in Wilhelmsburg. Sie wollen eine kritische Berichterstattung, in denen sie selbst und ihre Interessen ernst genommen werden. Viele Medien bilden aber nur die Klischees von Wilhelmsburg ab: Das „Problemviertel“ oder den „Szenestadtteil der Zukunft“. Das echte Leben zwischen diesen Extremen entgeht ihnen.

Deutlich zu sehen war das in der Berichterstattung über IBA und igs. Aus der Perspektive vieler Lokalmedien wurde Wilhelmsburg erst mit diesen Großprojekten interessant. Dass sich die IBA manches zu Eigen machte, was sich Wilhelmsburger jahrelang selbst erkämpft hatten, kam in vielen Berichten nicht vor. Auch die Folgen der igs stellen sich aus Wilhelmsburger Sicht anders dar: Viel entscheidender als das finanzielle Minus ist hier die nächtliche Schließung des früher voll zugänglichen Parks. Für andere Lokalmedien in Hamburg wurde das erst Thema, als die Berichterstattung auf WilhelmsburgOnline.de das Bezirksamt in Bedrängnis brachte. Klar, dass die Debatte um den Zaun für uns auch bei der Bezirkswahl eine Rolle spielte. Die Wähler wollen schließlich wissen, was die Politik in ihrem direkten Lebensumfeld vorhat. Deshalb haben wir auch die lokalen Fraktionsvertreter zu Video-Interviews gebeten, die auf der Insel bekannt sind.

Niedrigschwellige Zugänge sind uns sehr wichtig. Wir können und wollen nicht voraussetzen, dass die Leute sich Mühe geben, uns zu verstehen. Deshalb achten wir auch auf klare Sprache.

Die Macher des Zeit-Hamburg-Teil sollen das Know How der Stadtteilblogger erkannt und nutzen wollen und sich an Dich u.a. gewandt haben, um Kooperationen zu vereinbaren? Hast Du einen Kooperationsverträge geschlossen – und wenn ja zu welchen Konditionen?

Ja, die Anfrage zur Zusammenarbeit kam von Zeit Online. Sie war natürlich sehr willkommen. Einen Vertrag haben wir aber nicht geschlossen.

Der journalist betitelte 2011 ein Interview mit Jörg-Harlan Rohleder, Interview-Magazin „Blogs sind schneller, Print ist schöner“ – siehst Du das auch so?

Es gibt auch langsame Blogs und hässliche Printmedien. Guter Lokaljournalismus bemisst sich aber weder am einen noch am anderen. Wer vor allem schnell sein will, muss an der Oberfläche bleiben. Das Gespür für das, was die Menschen im Alltag berührt und betrifft, bleibt dabei oft auf der Strecke. Die Sprache übrigens auch: Wer sich nicht die Zeit nimmt, Verlautbarungen aus Politik, Wirtschaft und Behörden in konkrete Alltagssprache zu übersetzen, schließt viele Leser aus. Ein schönes Design ist wichtig, um auf Inhalte aufmerksam zu machen und es den Lesern zu erleichtern, sich in einem Medium zu Hause zu fühlen. Am Ende kommt es aber darauf an, was in der Verpackung steckt. Wenn ich auf WilhelmsburgOnline.de Themen aufgreife, die die Menschen berühren und die sie als Teil ihres Alltags erkennen, dann bekomme ich oft die Rückmeldung: Schöner Artikel, vielen Dank!

Wie kann die Zukunft des Journalismus im Netz gelingen?

Dieses Zaudern an der imaginären Schwelle, das in der Frage mitschwingt, finde ich völlig unzeitgemäß. Wir alle nutzen täglich Online-Medien, wir fühlen uns darin zu Hause und tragen sie als App mit uns herum – aber als Journalisten fragen wir uns dann, ob das Ganze auch gelingt?

Die ewige Debatte um Chancen und Risiken des Internets ist reine Prokrastination. Was hilft, aus der Krise herauszukommen, ist besserer Journalismus. Hier lohnt es sich, die eigene Arbeit zu hinterfragen und neue Wege auszuprobieren. Was ist unsere Aufgabe? Wie sieht das Medium aus, das sich unsere Zielgruppen wünschen? Wie wollen wir selbst arbeiten? Ich glaube, viele haben verlernt, sich diese Fragen zu stellen. Es ist auch nicht leicht, visionär zu denken, wenn im Redaktionsalltag immer weniger Leute immer mehr schaffen müssen und es am Ende nur darum geht, dass das Blatt voll wird. Aber wenn wir nicht wissen, wo wir hinwollen, ist die Suche nach dem Weg Zeitverschwendung.

Welche Eigenschaften sollten Journalisten heute mitbringen?

Sie sollten wie ihre Vorfahren neugierig und kritisch sein, sich kein X für ein U vormachen lassen und nichts verbreiten, was sie nicht in eigenen, klaren Worten wiedergeben können. Wenn sie im Lokalen arbeiten, sollten sie Menschen mögen. Vor allem aber sollten sie Freude am Lernen haben und wirklich passioniert sein. Dann können sie auch mit wenig Geld und Sicherheit glücklich werden.

 

 

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